Elf junge Menschen im Alter zwischen 19 und 29 haben sich hingesetzt und beschlossen ein Zukunftsmanifest zu schreiben und die größten Probleme der jungen Generation zu benennen. Dieses Dokument findet ihr hier.
Nachdem ich mit ein paar dieser Menschen während meiner politisch-aktiven Zeit in Kontakt stand oder zusammengearbeitet habe, möchte ich mit ihren Ideen auseinandersetzen. Ich bin auch nicht der Erste, der das tut. So hat vor mir zum Beispiel schon Christian Soeder das Zukunftsmanifest in seinem Blog (hier) kommentiert.
Vorausschicken möchte ich folgendes: Ich leider weder unter Bildungsnotstand, noch erlebe ich bewusst eine Krise der europäischen Idee. Ich glaube es gab selten eine Generation, die so viele Möglichkeiten hatte sich fortzubilden (alle Vorgängergenerationen haben analog und ohne Internet gelernt) und so mobil war. Die Autoren dürfen an dieser Stelle gerne in ihre eigenen Lebensläufe schauen; es scheint ihnen allen nicht wirklich schlecht ergangen zu sein. Ich glaube sogar, dass es dem großen gebildeten Teil dieser Generation so gut geht, dass er keine politischen Ziele mehr sieht, für die es sich zu kämpfen lohnt. Dabei will ich nicht abstreiten, dass es ernsthafte Probleme gibt, denen wir uns stellen müssen. Der Klimawandel passiert, während ich diese Zeilen schreibe und auch unser Finanzsystem wird beim derzeitigen Schuldenstand irgendwann an seine Grenzen stoßen. Aber dafür bezahlen wir viele Politiker und Fachleute in diesem Land – alleine 620 Abgeordnete im Bundestag. Ich bin daher nicht überzeugt, dass es grundsätzlich ein solches Zukunftsmanifest braucht, und ob eine gezielte Arbeit an einzelnen Problemfeldern nicht zielführender wäre.
Zu den einzelnen Punkten:
1. Demokratie
Ja, ich bin auch für Volksentscheide auf Bundesebene. Ja, ich bin für Transparenz in der Politik. Diese Forderungen sind nicht neu. Die Forderung nach einem Wahlrecht ab 16 halte ich für lasch. Beim Wahlrecht bin ich immer noch für ein Wahlrecht von Geburt an, was allerdings anscheinend in dieser Gruppe nicht mehrheitsfähig war.
Die Autoren schreiben, das über den Wahlzettel hinaus Möglichkeiten zur Mitsprache fehlen würden. Alleine ihre Manifest und die Veröffentlichungen und Auftritte der einzelnen Autoren sind hier schon Gegenbeweis genug. Zudem haben Parteien Jugendorganisationen und sind in vielen Fällen selbst dankbar für junge Menschen, die sich engagieren wollen.Über die Parteien hinaus gibt es viele Initiativen, Vereine und Möglichkeiten sich außerparlamentarisch einzubringen. Die Autoren fordern von den Parteien offenere Strukturen.Ich glaube nicht, dass die Parteien schon genügend genügend Know-how haben, um diese selbst einzuführen. Dies muss unsere Generation wohl selber machen, wenn daran genügend Interesse besteht.
Ich glaube aber auch nicht, dass junge Menschen von den Strukturen der Parteien abgehalten werden Politik zu machen, sondern vom Menschenschlag des “Politikers”. Dieser Schlag Menschen ist darauf angewiesen, sich so diplomatisch zu verhalten, dass er auch in der nächsten Legislaturperiode noch zur Wahl aufgestellt wird. Hierfür werden die eigenen Überzeugungen dann schon mal hinten angestellt. An den finanziellen Lebensstandard und die gesellschaftliche Anerkennung hat man sich dann ja gewöhnt.
Unnötig halte ich die Forderung nach einem Jugendrat und der Mitbestimmung durch die Steuererklärung. Beide Vorschläge schaffen zusätzliche Komplexität bei Systemen die vereinfacht werden sollten.
2. Transparenz
Hier kann ich zustimmen soweit ich das Ganze verstanden habe. Allerdings kenne ich das “Hamburger Modell” nicht und bin gerade zu faul kurz nachzuschlagen. Bei den Nebeneinkünften bin ich allerdings für weitergehende Restriktionen. Bei einer monatlichen Diät von 8.252 EUR kann ich wohl erwarten, dass ein Bundestagsabgeordneter exklusiv für mich arbeitet. Jeder Arbeitnehmer müsste sich Tätigkeiten über das Arbeitsverhältnis hinaus genehmigen lassen.
3. Internet
Ja!
4. Arbeit und Rente
Kein Mindestlohn? Wie soll dann Arbeit gerecht bezahlt werden? Und auch bei der Rente sind mir die Aussagen zu unpräzise: Mindestrente? Bürgerversicherung? Irgendein konkretes Konzept oder nur Platitüden? Versteht mich nicht falsch, ich finde Sätze wie “Daher müssen alle Berufsgruppen – auch Beamte und Selbstständige – in einen gemeinsamen Rententopf einzahlen.” richtig, aber nicht aussagekräftig genug. Wollen die Autoren das Ganze über das Steuersystem oder die Rentenversicherung regeln? Oder konnten sie sich nicht einigen? Nicht einmal zu elft? Dann bin ich doch begeistert, was die 620 da den ganzen Tag über so treiben….
5. Staatsfinanzen
An diesem Abschnitt habe ich zwei hauptsächliche Kritikpunkte. Beim Steuersystem sollte meiner Einsicht nach das Ziel deutlicher auf einer Vereinfachung des Systems liegen (Stichwort: Steuererklärung auf einem Bierdeckel). Durch die Vereinfachung werden im Optimalfall sowohl Steuerschlupflöcher geschlossen als auch vereinfacht sich die Arbeit für steuerliche Betriebsprüfer. Der zweite Kritikpunkt liegt in dem Satz “Durch kluges Sparen an den richtigen Stellen” verborgen, der leider keine richtigen Stellen nennt, sondern nur zusätzliche Ausgabenfelder. Seien wir uns bewusst: Die Staatsverschuldung kann nur durch immense Einsparungen in den Griff bekommen werden. Hier hätte ich mir gewünscht, dass die Autoren konkrete Einsparpotentiale benennen, denn an jeder Stelle wird es Proteste geben.
6. Umweltschutz
Keine Aussage zu CO2-Ausstoßgrenzen? Vielleicht was zur Automobilbranche? Oder doch lieber Kerosinbesteuerung? Oder zu den Stromsteuerregelungen für energieintensive Unternehmen? Aber einen nachhaltigen Lebensstil fordern! Und achja, die Energiewende bis 2050 (!!!!) klingt doch auch nach einem ambitionierten Ziel – zumindest dann für die nächste Generation. Dieser Abschnitt ist meiner Ansicht nach feige und zu kurz gegriffen. So schlimm kann es dann mit dem Klimawandel ja nicht sein. Auflagen für die Wirtschaft sind in diesem Bereich meiner Meinung nach nicht zu umgehen.
7. Bildung
Ja!
8. Familie und Geschlechtergerechtigkeit
Ja!
9. Europa und Integration
Ja!
10. Jung und alt gemeinsam!
Ja!
Schlussfolgerungen:
Insgesamt haben die Autoren des Zukunftsmanifests viele wichtige Punkte angesprochen. Es kann im Rahmen eines solchen Papiers auch nicht erwartet, dass sie innerhalb der einzelnen Themengebiete zu sehr in die Tiefe gehen. An manchen Stellen greift mir das Manifest allerdings zu kurz. Vor allem der Grundtenor beim Umweltschutz der mit dem einleitenden Satz die Verantwortung dem Verbraucher anstatt der Wirtschaft zuschiebt, geht mir in die falsche Richtung. Auch im Bereich “Arbeit und Rente” hätte ich mir Mindeststandards gewünscht, um z.B. bei voller Arbeitszeit eine Abhängigkeit von den Sozialsystemen zu vermeiden.
Das Manifest kann generell nur als Gedankenanstoß dienen, denn es hat keine repräsentative Legitimierung. Aber in vielen Punkten ist es ein Gedankenanstoß in die richtige Richtung. Es wird zumindest deutlich, dass der europäische Prozess unumkehrbar ist und sich die Jugend nicht gegen die älteren Generationen wendet. Das ist doch schnon mal ein Anfang.